ADHS: Symptome und Behandlung
- Details
- Zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 13. April 2023 10:20
Warum lässt sich mein Kind so leicht ablenken? Handelt es sich etwa um eine Verhaltensstörung? Wie gehe ich am besten mit meinem Kind um und wie sieht die Behandlung für Kinder mit ADHS aus? Was hilft außer Medikamenten noch? Mehr dazu in diesem Kapitel.
Das Wichtigste zu Beginn
Wie verhalten sich Menschen mit ADHS?
Typische Merkmale einer Aufmerksamkeitsstörung sind:
- eine geringe Aufmerksamkeitsspanne, so dass Tätigkeiten (Spielen, Hausaufgaben etc.) nicht zu Ende gebracht werden
- leichte Ablenkbarkeit
- häufiges Dazwischenreden
Im Prinzip also lauter Dinge, die wir Erwachsenen auch oft machen...
Wie beschreiben Eltern häufig ihr ADHS-krankes Kind?
Eine typische Beschreibung besorgter Eltern eines hyperaktiven Kindes lautet in etwa so:
„Unser Kind kann nicht stillsitzen und zappelt andauernd herum. Es scheint oft abwesend zu sein und nicht zuzuhören, stattdessen redet es oft dazwischen. Ständig will es bestimmen, hat Schwierigkeiten, sich einzufügen, auch beim Spielen, und geht häufig mit anderen Kindern recht brutal um.“
Kann man ADHS behandeln? Und wenn ja, wie?
Man kann nicht nur, man muss einem Kind mit ADHS helfen. Allerdings geht es da weniger um Medikamente (die oft viel zu schnell verschrieben werden), als vielmehr um eine liebevolle Beschäftigung mit dem Kind, kombiniert mit professioneller Hilfe.
Ritalin kann nicht heilen, manchmal aber helfen
Eine kausale, ursachengerichtete Behandlung der ADHS ist zwar nicht möglich. Dafür sind zu viele, und vor allem zu viele unklare Faktoren an der Entstehung beteiligt. Auch die medikamentöse Therapie kann ADHS-Kinder nicht heilen. Sie kann in Einzelfällen allerdings die Symptome soweit günstig beeinflussen, dass andere Behandlungsmaßnahmen größere Chancen haben. Dass also der Teufelskreis aus unangepasstem Verhalten und daraus resultierendem Stress unterbrochen wird, der Alltag leichter gemeistert und die Familiensituation entlastet wird. Eine Verhaltenstherapie und eine Schulung der Eltern haben dann gerade in schweren Fällen bessere Chancen, auf fruchtbaren Boden zu fallen.
Mehrere Ansätze gleichzeitig bieten die besten Chancen
Insgesamt wird ein sogenanntes multimodales Behandlungsprogramm empfohlen. Hinter dieser akademischen Bezeichnung steckt nichts anderes als die Idee, bei der Behandlung mehrere Wege gleichzeitig zu beschreiten. Dazu gehören folgende therapeutische Möglichkeiten:
- psycho-edukative Maßnahmen:
- Gespräch mit den Eltern und Bezugspersonen (Erziehern, Lehrern) über das Krankheitsbild
- Elterntraining
- Verhaltenstherapie
- Anwendung positiver Verstärkung und negativer Konsequenzen
- Selbstinstruktionstraining und Selbstmanagement-Interventionen
- Behandlung von Entwicklungsstörungen und anderen assoziierten Störungen
- Selbsthilfegruppen
- medikamentöse Therapie
Schließlich gibt es noch die Möglichkeit, Maßnahmen jenseits medizinischer Behandlungskategorien zu ergreifen. So kann man statt medikamentöser Einwirkung auf das Kind auch seiner Unruhe Raum bieten und Möglichkeiten der Beschäftigung bieten, die die Impulskontrolle fördern und ein Absetzen der Ritalin-Einnahme ermöglichen.
Ist ADHS eine echte Erkrankung oder nur eine Modekrankheit?
ADHS-Kritiker meinen ja. Sie halten das propagierte ADHS-Modell für falsch und bedauern das Ausbleiben einer gesellschaftlichen Empörung angesichts des hohen Ritalin-Konsums.
Sie machen dafür Ermüdungserscheinungen in der öffentlichen, zunehmend unverständlichen Streitdiskussion verantwortlich. Zudem verweisen die Kritiker auf das Spektrum der Interessenten, die aus dem Festhalten an dem Modell Nutzen zögen. Dazu zählen Sie, die betroffenen Eltern mit dem Interesse an einem (genetisch bedingten) „Fremdverschulden“, die Kinder- und Jugendpsychiater mit dem beruflichen Publikationsinteresse an Medikamentenstudien, die Ärzte der Basisversorgung mit dem Bedarf an schnellen und beeindruckenden Behandlungsergebnissen und die kommerziell interessierte Pharmaindustrie.
Kritisches Hinterfragen berechtigt
Wie dem auch sei, fest steht: Immer wieder gab und gibt es in vielen Bereichen der Medizin umstrittene Krankheits- und Behandlungskonzepte, die häufig so lange aufrechterhalten werden, bis die gegenteilige Evidenz erdrückend ist oder sich der Zeitgeist geändert hat. Ein kritisches Hinterfragen, das ausschließlich auf das Wohl des Kindes gerichtet ist, und die sorgfältige Auswahl eines Arztes des eigenen Vertrauens sind, nicht nur bei ADHS, um so sinnvoller.
Basiswissen
Was ist ADHS?
Die Abkürzung ADHS steht für den Fachterminus „Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom“. Der Begriff „Syndrom“, für den alternativ auch häufig „Störung“ gebraucht wird, deutet darauf hin, dass es sich hier um ein komplexes Geschehen mit verschiedenen Komponenten und Erscheinungsbildern handelt.
Die Aufmerksamkeitsstörung ADHS gilt heute weithin als angeborene Störung, die durch erbliche Veranlagung und andere Faktoren ermöglicht bzw. begünstigt wird, in allen Altersgruppen vorkommt und sich dort jeweils in unterschiedlicher Form manifestiert.
Lesen Sie auch: ADHS: Wie äußert sich Hyperaktivität?
Mehr zum Thema: Kindliches Verhalten: Ist Zappeln gesund?
Zappelphilipp und Co.: Unterschiedliche Arten und Bezeichnungen für ADHS
Gibt es verschiedene Bezeichnungen für ADHS?
Ja. Wie bei etlichen anderen (psychiatrischen) Syndromen auch, gibt es eine Reihe von Fachbegriffen, die letzten Endes das Störungsbild eines Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndroms (ADHS) oder damit überlappende Zustände meinen.
Manche von ihnen sind mittlerweile veraltet, andere eher im internationalen Sprachgebrauch der Experten verortet. Zur langen Liste der Synonyme zählen u. a.:
- ADS / Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom oder -störung
- Hyperaktivitäts-Aufmerksamkeitsstörungen
- Hyperaktives, Hyperkinetisches oder Hypermotorisches Syndrom
- MCD / Minimale Cerebrale Dysfunktion (veraltet)
- PSO / Psychoorganisches Syndrom (veraltet)
- ADHD / Attention-Deficit Hyperactivity Disorder (international gebräuchlich)
- ADD / Attention Deficit Disorder (international gebräuchlich, veraltet)
Was ist das „Zappelphilipp-Syndrom“?
Die Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS oder ADS) wird umgangssprachlich auch als „Zappelphilipp-Syndrom“ bezeichnet, nach der bekannten Figur aus dem 1845 erschienenen Kinderbuch „Struwwelpeter“ des Frankfurter Arztes Heinrich Hoffmann.
Welche Arten von ADHS gibt es?
Das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) wird in drei Formen unterteilt, je nachdem, welche Auffälligkeit im Vordergrund steht:
- überwiegend hyperaktiv-impulsiv („Zappelphilipp“)
- überwiegend aufmerksamkeitsgestört („Hans-guck-in-die-Luft", „Träumer“) (häufiger bei Mädchen)
- aufmerksamkeitsgestört und hyperaktiv: Misch-Typ
Der Träumer-Typ, bei dem sich die Hyperaktivität weniger bemerkbar macht, ist häufiger bei Mädchen zu beobachten. Mehr zu ADHS bei Mädchen lesen Sie hier
Ursachen
Was verursacht ADHS?
Was für viele medizinische Diagnosen gilt, das gilt beim Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsyndrom (ADHS) ganz besonders: Die Experten gehen von einer multifaktoriellen Pathogenese aus, also von einer Vielzahl möglicher Krankheitsursachen und beteiligter Faktoren, ohne die genauen Zusammenhänge wirklich zu kennen.
Sicher scheint zu sein, dass sowohl biologische als auch psychosoziale Gründe eine Rolle spielen. In einer Zeit, in der der Mensch humanwissenschaftlich als biopsychosoziales Wesen betrachtet wird, ist das nicht weiter verwunderlich und nur bedingt aufschlussreich.
Gene spielen eine wichtige Rolle
Neueren Untersuchungen zufolge wird den neurobiologischen Faktoren heute ein größerer Einfluss zugemessen als den psychosozialen. Gemeint ist damit, dass die genetische Veranlagung maßgeblich verantwortlich gemacht wird und es sich um eine angeborene Störung handeln soll. Was allerdings nicht der Hypothese widerspricht, dass – aus kindlicher Perspektive – ungünstige psychosoziale Rahmenbedingungen, neben organischen Schadeinwirkungen, diese Veranlagung erst zum Tragen kommen lassen.
Rauchen? Alkohol? Umweltgifte?
Zahlreiche weitere Risikofaktoren werden für ADHS diskutiert, u. a.:
- Umweltgifte
- Nahrungsmittelallergien
- Nikotin, Alkohol oder Drogen während der Schwangerschaft
- Sauerstoffmangel bei der Geburt
Zucker und Gene als Auslöser von ADHS
Gibt es eine typische ADHS-Ursache?
Nein. Eine einzige Ursache für ADHS gibt es nicht. Vielmehr gehen die gegenwärtigen Erklärungsmodelle von einem individuell geprägten und multifaktoriell bedingten Störungsbild aus.
Erbliche Veranlagung (Disposition), neurobiologische Dysfunktionen im Gehirn, psychosoziale Faktoren und Umweltbedingungen sollen dabei eine wichtige Rolle spielen. Auch schädliche Einflüsse während Schwangerschaft oder Geburt werden mit der kindlichen Verhaltensstörung in Verbindung gebracht.
Faktor Rauchen in der Schwangerschaft
So konnte zum Beispiel in einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Studie mit 360 Kindern in Mannheim gezeigt werden, dass Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft geraucht haben, viermal häufiger ein Zappelphilipp-Syndrom entwickeln. Allerdings ist bei solchen Untersuchungen immer die Frage, ob es wirklich am Rauchen lag. Denn Frauen, die während der Schwangerschaft rauchen, machen möglicherweise auch noch andere Dinge falsch.
Kann Zucker oder eine falsche Ernährung ADHS auslösen?
Nein. Nahrungsmittel und von ihnen ausgelöste Unverträglichkeiten und Allergien stehen für viele Leiden als Auslöser im Verdacht, auch für ADHS. Trotz erheblicher Forschungsanstrengungen ließ sich allerdings bislang kein Zusammenhang mit bestimmten Nahrungsmitteln, Nahrungsmittelzusätzen, Konservierungsstoffen (z. B. Phosphate) oder Zucker nachweisen.
Ist ADHS vererbbar?
Auch wenn die Vererbbarkeit von ADHS seit über zwei Jahrzehnten wissenschaftlich propagiert wird, mangelt es noch an Beweisen.
Zwillings- und Familienstudien zeigen zwar, dass Häufungen innerhalb einer Familie vorkommen und werden zusammen mit molekulargenetischen Untersuchungen als Begründung für den postulierten genetischen Einfluss angeführt. Ob dieser aber tatsächlich andere, äußere Faktoren (z. B. der Familienbeziehung, Erziehung und Umweltbedingungen) überwiegt, lässt sich derzeit noch nicht mit Sicherheit beantworten.
ADHS: Psyche und Gehirn als Ursache
Ist ADHS eine psychische Störung?
Ja, denn wie für eine psychische Störung charakteristisch, geht es bei ADHS um Probleme des Denkens, der Gefühle, der Bewegung und des sozialen Verhaltens, die zu individuell unterschiedlich geprägten Erscheinungsbildern, aber immer zu einer psychosozialen Beeinträchtigung führen.
Ebenfalls kennzeichnend für ein seelisches Leiden ist das Ineinandergreifen der gestörten Funktionsbereiche bei ADHS. Organische Manifestationen im Bereich des Hirnstoffwechsels widersprechen dem nicht, sondern stellen das neurobiologische Korrelat der Fehlfunktionen dar.
Die Qualität der ADHS-Diagnose ist mit der anderer psychischer Störungen (z. B. Schizophrenie, Zwangsstörung) vergleichbar und weist Analogien mit Diagnosen anderer medizinischer Disziplinen auf (z. B. Bluthochdruck, Fettsucht).
Verursacht eine Fehlfunktion des Gehirns ADHS?
Vermutlich ja; aus neurobiologischer Sicht sind Neurotransmitter-Störungen im Gehirn für das Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) verantwortlich. Sie führen zu Fehlfunktionen in den Regelkreisen zwischen Großhirn (präfrontaler und parietooccipitaler Kortex), Basalganglien und Kleinhirn.
Zu den möglichen Gründen für diese Entgleisung werden meist gezählt:
- genetische Faktoren
- Geburts- und Schwangerschaftstraumen (Alkohol, Nikotin, andere Drogen)
- Störungen der Entwicklung (Frühgeburtlichkeit, Gehirnerkrankungen)
- Störungen der Koordination
Die Stammganglien und das Frontalhirn sind wichtige Gehirnabschnitte, wenn es um die Aufmerksamkeit, Konzentration, Wahrnehmungs- und Organisationsfähigkeit Ihres Kindes (und auch bei Ihnen selbst) geht.
Für die korrekte Signalübertragung in diesen Schaltzentren sind u.a. die Botenstoffe (Neurotransmitter) Dopamin und Noradrenalin verantwortlich. Ist deren Stoffwechsel gestört, gibt es Probleme mit der Informationsverarbeitung zwischen den verschiedenen Gehirnregionen. Und genau das vermuten Wissenschaftler auch im Zusammenhang mit ADHS.
Fazit
Allerdings ist dieses neurobiologische Korrelat lediglich die Endstrecke eines krankhaften Geschehens, das vermutlich viele verschiedene Ursachen und Auslöser haben kann. Warum und wie es dazu kommt, steht also auf einem anderen Blatt. Aber es wird immerhin nachvollziehbar, warum Medikamente, die den Neurotransmitter-Stoffwechsel beeinflussen, dabei helfen können, die Symptome in den Griff zu bekommen. Und es leuchtet auch ein, dass es bei dieser Maßnahme allein nicht bleiben kann, wenn man die Ursache des kindlichen Leidens auf Dauer beheben möchte.
Entsteht ADHS durch einen Geburtsschaden?
Eindeutig lässt sich das (bisher) nicht beantworten. Schädigungen des Zentralnervensystems durch einen Sauerstoffmangel während der Geburt werden aber von Experten mit der ADHS-Entstehung in Zusammenhang gebracht.
Auch vorgeburtliche Schädigungen, etwa durch Alkoholmissbrauch und Tabakkonsum der Mutter, und eine Frühgeburt zählen zu den zahlreichen diskutierten Ursachen.
Warum erkranken manche Kinder an ADHS und andere nicht?
Diese Frage ist, wie bei vielen menschlichen Phänomenen, bislang nicht genau geklärt. Wissenschaftler vermuten, dass die erbliche Veranlagung eine große Rolle für die Ausprägung von ADHS spielt.
Als Beleg für diese Annahme dient die Beobachtung, dass häufig auch Eltern, Geschwister oder andere Verwandte ebenfalls an ADHS leiden. Um einen Beweis handelt es sich dabei aber nicht, denn es könnten auch ähnliche Sozialisationsbedingungen für das gehäufte Auftreten von Bedeutung sein.
Häufigkeit und Verbreitung
Hat ADHS in den letzten Jahren zugenommen?
Darüber sind sich heute viele Experten einig. Demnach sind heute nicht mehr Kinder und Erwachsene von einer ADHS-Veranlagung betroffen als früher.
Auffallend hyperaktive Kinder gab es schon immer, wofür gerne das bekannte Beispiel des „Zappelphilipps“ aus dem 1845 erschienenen Kinderbuch „Struwwelpeter“ des Frankfurter Arztes Heinrich Hoffmann zitiert wird. Allerdings fielen diese Kinder in den vergangenen Zeiten normalerweise nicht weiter auf, da die harten, mit Strafen und körperlicher Züchtigung bewehrten Strukturen kaum Alternativen zu einem angepassten Verhalten zuließen.
Umweltfaktoren und Gesellschaft
Die genetische Disposition der Menschheit dürfte sich innerhalb von wenigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten wohl nur in sehr geringem Maße entscheidend ändern. Deshalb spielen wohl die äußeren Faktoren der gesellschaftlichen Umwelt, die sich im vergangenen Jahrhundert sehr verändert hat, die wichtigere Rolle. Hinzu kommt, dass erst durch die sprachliche Erschaffung der Diagnose ADHS die Wahrnehmung des Phänomens in breiterem Umfang möglich wurde und seither in Medien und Gesellschaft deutlich gestiegen ist.
ADHS: mehr Diagnosen und Behandlungen
ADHS tritt somit aufgrund der geänderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verstärkt und offensichtlicher zu Tage, während gleichzeitig die therapeutischen Grenzen zugunsten einer postulierten Behandlungsbedürftigkeit verschoben wurden. Als Ursachen für diese Entwicklung werden u.a. vermutet:
- fortschreitende Vernetzung der Gesellschaft und damit einhergehende Reizüberflutung durch ein Überangebot an Informationen, Kommunikation und medialen Reizen wie Fernsehen, Computer und Mobiltelefon
- deutlich erhöhte Anforderungen an das Individuum durch die zunehmende Komplexität im privaten und beruflichen Leben
- zunehmende Strukturlosigkeit in Familie, Schule und Gesellschaft
- daraus resultierend insgesamt eine größere Herausforderung für ADHS-Betroffene, ihr Leben zu gestalten
Verschiedene Untersuchungen lassen darauf schließen, dass zwar die Zahl der Diagnosen und die Verschreibungshäufigkeit des ADHS-Medikaments Ritalin, weniger aber das Vorkommen dieser Störung an sich in den letzten Jahren stark zugenommen hat. In den USA ist die Aufmerksamkeitsdefizitstörung (Attention Deficit Disorder / ADD) mittlerweile zur am häufigsten diagnostizierten „Kinderkrankheit“ und Ritalin zur „Pille für das Kind“ geworden. Und natürlich gibt es auch dabei Menschen, die daran verdienen.
Wie viel Prozent der Kinder haben ADHS?
In den einschlägigen Informationsquellen, ob gedruckt oder online, ist gerne von 5-15 % die Rede, wenn es um die heutige Verbreitung des Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndroms (ADHS) geht.
Diese Zahlen erscheinen allerdings – wie so oft im medizinischen Presse- und Medienbetrieb – recht hoch gegriffen und sind mit Vorsicht zu genießen. Zumindest, wenn daraus therapeutische Maßnahmen abgeleitet werden sollen. So findet sich hin und wieder der Zusatz, dass „nur etwa die Hälfte“ davon medizinisch behandlunsbedürftig sei. Außerdem ist mit einer hohen Rate von Fehldiagnosen zu rechnen, wie die Schwierigkeit der Diagnosestellung vermuten lässt und Untersuchungen in den USA gezeigt haben.
Kaum zu überschätzen dürfte dagegen die Zahl derjenigen Kinder sein, denen es an optimaler Zuwendung und kindgerechten Rahmenbedingungen zum Ausleben ihres mitunter lebhaften Naturells mangelt.
Wie viele Menschen weltweit haben ADHS?
Die internationale Häufigkeit von ADHS wird (abhängig von der Quelle) mit 9,2 % für Jungen und 2,9 % für Mädchen angegeben. Damit zählt das Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom weltweit zu den häufigsten psychiatrischen Kinderkrankheiten.
In Deutschland sollen 6 % der 6-10 Jahre alten Kinder betroffen sein. In den USA erfolgen die Diagnostellung und eine medikamentöse Therapie mit der Verabreichung von Ritalin besonders häufig – und oft zu vorschnell, wie aktuelle Untersuchungen ergeben haben.
Symptome
Was sind typische Anzeichen für ADHS?
Personen mit ADHS fallen häufig durch drei bestimmte Charakteristika auf. Zu diesen Hauptmerkmalen zählen:
- Aufmerksamkeitsstörung
- Hyper- bzw. Überaktivität
- Impulsivität
Es werden diverse Mischformen unterschieden, je nachdem, welches dieser Merkmale das individuelle ADHS-Bild dominiert. Nicht jedes hyperaktive Kind zappelt ständig herum, aber alle Kinder mit ADHS fallen über lange Zeit durch ihr Verhalten aus dem Rahmen. Und das nicht nur zuhause, sondern auch in anderer Umgebung.
Weitere Kriterien für das Krankheitsbild ADHS sind:
- Beginn der Störung vor dem Alter von 6 Jahren
- Auftreten des Fehlverhaltens in mindestens zwei Lebensbereichen/Umgebungen (z. B. Schule, Kindergarten, Familie, Freundeskreis)
- Andauern der Beschwerden über mehr als sechs Monate
Allerdings ist ADHS als Krankheitsbild keineswegs unumstritten. Alle „Symptome“ können vorübergehend auch bei gesunden Kindern auftreten und das nicht nur nach besonderen Belastungen, wie z. B. Scheidung der Eltern. Insofern sollten Sie sich als sorgende Eltern weder vom medizinischen Fachvokabular noch von der krank(heits)machenden Dynamik der „Gesundheitsbranche“ zu sehr beeindrucken lassen. Schließlich ist für Sie als liebende und verantwortungsvolle Erziehungsberechtigte nur eine Frage wirklich von Belang: Wie helfe ich meinem Kind, wenn es Hilfe benötigt?
Warnzeichen für ADHS: Hyperaktivität und Impulsivität
ADHS: Wie äußert sich Hyperaktivität?
Typisches Merkmal der Hyper- bzw. Überaktivität ist eine auffällige körperliche Unruhe, die sich beispielsweise in ständigem Zappeln, Aufspringen vom Stuhl oder anderen Ausprägungen einer überschießenden Motorik äußert.
Vor allem bei Mädchen ist die hyperaktive Komponente des ADHS häufig abwesend – dann spricht man auch vom ADS – bzw. von außen nicht ohne weiteres erkennbar.
Mein Kind ist hyperaktiv – hat es ADHS?
„Hyperaktives“ Verhalten ist häufig und normal bei Kindern. Erst wenn es dauerhaft und situationsübergreifend (z.B. in der Schule und zuhause) zur Belastung für das Kind und seine Umgebung wird, sollte an eine echte hyperkinetische Störung gedacht werden.
Eine Aufmerksamkeitsstörung (ADHS) ist dabei nicht mit Hyperaktivität gleichzusetzen, sondern wird im Sinne eines Krankheitsbegriffs als eine mögliche Ursache für das abnorme Verhalten angesehen.
Sind alle Kinder mit ADHS auch hyperaktiv?
Nein, die motorische Hyperaktivität stellt nur ein fakultatives (nicht zwingendes) Symptom von ADHS dar.
Deshalb findet sich auch häufig die Abkürzung ADS, wodurch zum Ausdruck kommt, dass es sich um eine Aufmerksamkeitsstörung mit oder ohne Hyperaktivität handelt:
- Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom = ADHS
- Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom = ADS
Wie äußert sich Impulsivität bei ADHS?
Mit der Impulsivität als einem der drei Hauptmerkmale eines ADHS ist die fehlende Kontrolle über die eigenen Gefühle gemeint, die mit Stimmungsschwankungen, leichter Erregbarkeit, Wutausbrüchen und nicht selten Aggressivität einhergeht.
Frühe Symptome und Krankheitswert
In welchem Alter treten die ersten ADHS-Symptome üblicherweise auf?
Zur Definition von ADHS gemäß der wissenschaftlichen Leitlinien gehört das Auftreten der Symptome vor dem 6. Lebensjahr. Erste Anzeichen können möglicherweise schon beim Baby beobachtet werden.
Stärker zum Tragen kommen sie meist erst im Kindergartenalter, wenn die verschiedenen Wohlverhaltensweisen wie Stillsitzen, Konzentrieren, Unterordnen etc. in der Gruppe und zuhause zunehmend eingefordert werden.
Mein Kind zeigt Symptome einer Aufmerksamkeitsstörung. Ist es krank?
Mit hoher Wahrscheinlichkeit nein, denn alle Zeichen eines Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndroms (ADHS) können vorübergehend auch bei gesunden Kindern auftreten.
Häufig werden besondere Belastungen, wie z. B. die Scheidung der Eltern, dafür verantwortlich gemacht. Die meisten Eltern werden aber auch ohne derlei Extremsituationen die Erfahrung teilen, dass ihre Kinder gelegentlich bis häufig wenig aufmerksam, körperlich unruhig und leicht erregbar bis wutschnaubend reizbar sind. Krank sind sie deshalb noch lange nicht.
In den allermeisten Fällen reicht es:
- Kindern zu ermöglichen, sich als Kind auszuleben, ohne sie zu vernachlässigen,
- den eigenen Erziehungsstil inklusive Werten und Zielen in alle Richtungen zu überdenken,
- Konsequenz, Ruhe und Gelassenheit an den Tag zu legen,
- als Vorbild für die eigenen Kinder zu agieren und
- die Anstrengungen der Erziehung (die leider oft rech hoch, aber vollkommen unbezahlt sind) mit humorvoller Liebe statt klagender Verzweiflung zu (er-) tragen.
Bevor wir also unsere Kinder und uns als Eltern mit Selbstvorwürfen und Krankheitsdiagnosen fertigmachen, sollten wir lieber überlegen: Wie können wir die Rahmenbedingungen für familiäres, schulisches und sonstwie kindliches Leben verbessern? Wie können wir uns besonders störenden Auswüchsen zumindest entziehen?
Es ist davon auszugehen, dass die zu beobachtenden biopsychosozialen Störungen bei Kindern und Erwachsenen zum allergrößten Teil nicht in den Veranlagungen unseres Nachwuchses begründet liegen, sondern in den Rahmenbedingungen seines Aufwachsens.
Was sind häufig positive Eigenschaften von Kindern mit ADHS?
Ob mit oder ohne ADHS, aber eben auch gerade dann gilt: Beachten Sie neben den Problemen und Schwächen, die Ihnen bei Ihrem Kind auffallen mögen, vor allem auch seine positiven, liebens- und lobenswerten Eigenschaften!
Das klingt zwar banal und selbstverständlich, findet aber im Familien- und Schulalltag häufig viel zu wenig statt. Dabei weisen gerade die in mancher Hinsicht so anstrengenden „ADHS-Kinder“ oft besonders wertvolle Merkmale auf, wie z. B.
- Ideenreichtum und Kreativität
- künstlerische Qualitäten
- Begeisterungsfähigkeit
- Hilfsbereitschaft
- Gerechtigkeitssinn
ADHS in verschiedenen Altersgruppen: Anzeichen bei Säuglingen, Kleinkindern und Kinder
Was weist auf ADHS beim Säugling hin?
Regulationsstörungen, die durch ADHS bedingt sind, können sich im Säuglingsalter durch folgende, für das Kind unangenehme und für die Eltern anstrengende Erscheinungen äußern:
- unerklärliche, lang andauernde Schreiphasen
- körperliche Unruhe
- Ess- und Schlafprobleme
- Ablehnung von Körperkontakt
- Misslaunigkeit
Nicht jedes auffällige Kind bekommt ADHS
Die Leitlinien-Autoren der Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder- und Jugendärzte e.V. gehen davon aus, dass bei derartigen Symptomen im frühen Lebensalter später in etwa 30% der Fälle eine ADHS diagnostiziert werden kann. Das gilt aber nur, wenn diese Auffälligkeiten über einen längeren Zeitraum bestehen und nicht durch andere Erkrankungen bzw. Befindlichkeitsstörungen verursacht bzw. erklärbar sind.
Umgekehrt verhalten sich Babys, bei deren ADHS die unaufmerksame statt der hyperaktiven Komponente dominiert („Träumer“-Typ, häufig bei Mädchen), oft ausgesprochen friedlich und „pflegeleicht“. Weder das Vorhandensein noch das Fehlen der genannten „Symptome“ kann die Diagnose ADHS bestätigen oder ausschließen.
Wie äußert sich ADHS im Kleinkind- und Kindergartenalter?
Die Antwort zitiert aus der von Kinder- und Jugendärzten erstellten ADHS-Leitlinie:
- planloser und rastlose Aktivität
- schnelle, häufige und kaum vorhersehbare Handlungswechsel
- geringe Ausdauer beim Spielen
- ausgeprägte Trotzreaktionen
- mangelnde Akzeptanz von Regeln
- unberechenbares Sozialverhalten
- Teilleistungsschwächen, zum Beispiel beim Hören, Sehen oder in der Fein- und Grobmotorik
- erhöhte Unfallgefahr
- auffallend früher Spracherwerb (manchmal aber auch verzögerte Sprachentwicklung)
- keine beständigen Freundschaften
- Kind und Eltern isoliert
Was ist typisch für ADHS im Grundschulalter?
Die Antwort zitiert aus der von Kinder- und Jugendärzten erstellten ADHS-Leitlinie:
- mangelnde Regelakzeptanz des Kindes in Familie, Spielgruppe und Klassengemeinschaft
- Stören im Unterricht, wenig Ausdauer, starke Ablenkbarkeit, emotionale Instabilität, geringe Frustrationstoleranz, Wutanfälle, aggressives Verhalten, schlechte Schrift, chaotisches Ordnungsverhalten
- andauerndes Reden, Produzieren von Geräuschen, überhastetes Sprechen (Poltern)
- unpassende Mimik, Gestik und Körpersprache
- Ungeschicklichkeit, häufige Unfälle
- Lese-Rechtschreib-Schwäche, Rechenschwäche, Lern-Leistungsprobleme mit Klassenwiederholungen, Umschulungen
- keine dauerhaften sozialen Bindungen, Außenseitertum
- niedriges Selbstbewusstsein
Wie wirkt sich ADHS in der Pubertät aus?
Wenn die Kinder älter werden, wandelt sich auch die Ausprägung des ADHS-Beschwerdebildes. Hinweisende Symptome gemäß der von Kinder- und Jugendärzten erstellten ADHS-Leitlinie sind:
- Unaufmerksamkeit
- Null-Bock-Mentalität, Leistungsverweigerung, oppositionell-aggressives Verhalten, stark vermindertes Selbstwertgefühl, Ängste, Depressionen
- Präferenz für soziale Randgruppen, erhöhte Risikobereitschaft, häufiger Verkehrsunfälle
- Neigung zu Straffälligkeit (Delinquenz), Alkohol, Drogen
- vermehrt Frühschwangerschaften
Zumindest die erstgenannten Symptome können freilich auch bei jeder ausgeprägteren Pubertät auftreten - also Vorsicht vor zu schnellen Schlussfolgerungen.
Symptome bei Mädchen und Erwachsenen
Woran erkennt man ADHS bei Mädchen?
Laut Expertenmeinung wird ADHS bei Mädchen häufiger übersehen. Im Gegensatz zu den zahlenmäßig stärker betroffenen Jungen ist die typische ADHS-Kernsymptomatik bei Mädchen eher geringer ausgeprägt.
Vor allem Hyperaktivität und Impulsivität fallen bei ihnen in der Regel weniger auf. Dafür haben sie häufiger intellektuelle Beeinträchtigungen und emotionale Auffälligkeiten (z. B. depressive Verstimmung).
Nach den Kriterien des amerikanischen Klassifikationssystems DSM-IV beträgt einer Studie zufolge das Geschlechterverhältnis von Jungen zu Mädchen beim überwiegend aufmerksamkeitsgestörten Subtyp 2:1 und beim hyperaktiv-impulsiven Subtyp 5:1.
Wie äußert sich ADS im Erwachsenenalter?
Ja. Auch im Erwachsenenalter bildet sich bei der Mehrzahl der ADHS-Betroffenen die Störung nicht automatisch zurück. Das Beschwerdebild verlagert sich aber altersentsprechend.
Hinweisende Symptome gemäß der von Kinder- und Jugendärzten erstellten ADHS-Leitlinie sind:
- innere Unruhe, Schusseligkeit, Vergesslichkeit
- Mühe, Aufgaben zu planen und zu Ende zu bringen
- Neigung, Wichtiges bis zum letzten Moment aufzuschieben
- Unbeständigkeit von beruflichen und sozialen Bindungen
- Ängste, Depression, Jähzorn
- Neigung zu Straffälligkeit (Delinquenz), Alkohol, Drogen
- erhöhte Risikobereitschaft, häufiger Unfälle
- Ess-Störungen
Diagnose und Untersuchungen
Warum sollte man bei Verdacht auf ADHS zum Arzt gehen?
Dies ist wichtig, um eine frühzeitige Diagnose stellen zu können. Nur so kann den Betroffenen angemessene Unterstützung angeboten werden. Denn wenn die Erkrankung nicht erkannt und behandelt wird, kann es schwierig werden, den Alltag erfolgreich zu bewältigen.
Ziele der Diagnosestellung
Bei der diagnostischen Abklärung geht es nicht nur um die Feststellung, ob ADHS vorliegt. Vielmehr werden auch andere wichtige Aspekte beurteilt, die sich auf den Krankheitsverlauf auswirken können.
Die wesentlichen Ziele des Arztes bei der diagnostischen Abklärung sind:
- Sichern der Diagnose
- differenzialdiagnostische Abgrenzung
- Erfassen der qualitativen und quantitativen Ausprägung der individuellen Symptomatik
- Erkennen individueller Umgebungsbedingungen (negative mit Verschlimmerungspotenzial, positive mit Ressourcenpotenzial zur Hilfe und Besserung)
Untersuchungsmethoden
Wie wird man mit ADHS diagnostiziert?
Folgende Maßnahmen können die Diagnosestellung einer ADHS unterstützen:
- Anamnese (Befragung der Eltern, auch nach der Vorgeschichte)
- Sozialanamnese
- Familienanamnse
- Eigenanamnese
- Fremdanamnese
- Ganzkörperuntersuchung
- neurologische Untersuchung
- Beurteilung des psychischen und geistigen Entwicklungsstandes
- Beurteilung des Hör- und Sehvermögens
- Laboruntersuchungen (Blutwerte)
- Verhaltensbeobachtung
- SDQ-Fragebogen (Strength- and Difficulties-Questionnaire)
- FBB-HKS-Fragebogen (Fremdbeurteilungsbogen Hyperkinetische Störung)
- VBV-Fragebogen (Verhaltensbeurteilungsbogen für Vorschulkinder)
- psychologische Untersuchung
- Entwicklungs-, Intelligenztests, Aufmerksamkeitstests
- Elektroenzephalogramm (EEG), bildgebende Verfahren
Gibt es einen Test für ADHS?
Nein, bisher gibt es weder einen Test noch ein anderes Untersuchungsverfahren, dass alleine beweisend für ADHS wäre.
Es gibt zwar eine ganze Reihe verschiedener Tests zur Beurteilung der bei ADHS eingeschränkten Fähigkeiten wie z. B. des Aufmerksamkeits- und des Konzentrationsvermögens. Ein schlechtes oder gutes Abschneiden in einem derartigen Test ist allerdings immer nur als ein Indiz zu bewerten.
Selbst das Ergebnis einer ganzen Testreihe ist aufgrund der Komplexität des Syndroms für sich genommen nie ausreichend zur Stellung der Diagnose ADHS. Diese kann nur auf der Grundlage eines umfangreichen, mehrdimensionalen Untersuchungsgeschehens mit Informationen aus unterschiedlichen Quellen erfolgen.
Wie lange dauert die psychologische Untersuchung bei ADHS?
Die testpsychologische Untersuchung zur Abklärung eines ADHS-Verdachts sollte mindenstens ein bis zwei Stunden dauern, damit der Arzt bzw. Therapeut das Verhalten des Kindes in der Testsituation gründlich beobachten kann.
Verdacht auf ADHS: Muss eine Kernspintomografie (MRT) durchgeführt werden?
Nein, stattdessen wird üblicherweise ein EEG (Elektroenzephalogramm) durchgeführt, insbesondere zum Ausschluss einer Epilepsie im Falle einer medikamentösen Behandlung der ADHS.
Ein Magnetresonanztomogramm (MRT) kann je nach individueller Situation zum Ausschluss anderer hirnorganischer Erkrankungen sinnvoll und dann auch unter Kostengesichtspunkten gerechtfertigt sein.
Kann man ADHS im Kernspin sehen?
Nein. ADHS wird mit einem Ungleichgewicht der Botenstoffe im Gehirn (Neurotransmitter) in Zusammenhang gebracht. In der Kernspintomografie (MRT) kann man nur Veränderungen der Anatomie und größere Strukturen sehen. Einen Überblick über den Gehirnstoffwechsel bietet diese Untersuchung leider nicht.
Verdacht auf ADHS: Was kann noch alles dahinterstecken?
Folgende Differentialdiagnosen (andere Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen) müssen bei Verdacht auf eine Aufmerksamkeitsstörung vom Typ ADHS bedacht werden:
- Schädigung durch Alkohol in der Schwangerschaft (Alkoholembryopathie)
- Epilepsie in der Schwangerschaft
- Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose)
- Intelligenzminderung
- Neurofibromatose Typ I
- Psychosen im Kindes- und Jugendalter
- Zwangsstörungen bei Kindern und Jugendlichen
Diagnosestellung: von Schwierigkeiten und Fehldiagnosen
Ist es schwierig die Diagnose ADHS zu stellen?
Ja, denn eine Aufmerksamkeitsstörung vom Typ ADHS ist ein komplexes Störungsbild, für das es keinen „beweisenden“ Befund gibt. Da es sich nicht spezifisch diagnostizieren lässt, stellt es für die Ärzte und Therapeuten eine echte Herausforderung dar, der nicht alle gewachsen sind.
Statt auf objektiven Kriterien wie z. B. Messwerten oder Organdefekten beruht die Diagnose zu einem großen Teil auf Angaben und Wahrnehmungen von Bezugspersonen des Kindes. Diese Einschätzungen sind aber subjektiv, umwelt- und situationsabhängig und können erheblich voneinander abweichen.
ADHS: Warum besteht die Gefahr einer Fehldiagnose?
Wird der familiäre, kulturelle und schulische Kontext bei der Diagnostik nicht angemessen berücksichtigt, ist die Gefahr einer Fehldiagnose im Verzug. Die Bundesärztekammer geht davon aus, dass die Zahl der zur Abklärung eines ADHS-Verdachts untersuchten Kinder bei weitem die der tatsächlich Erkrankten übertrifft. Statt der überwiegend kolportierten 5-15 % geht sie davon aus, dass „nur“ etwa 3-5 % der Kinder und Jugendlichen in Deutschland von ADHS betroffen sind – das sind dann immer noch 300.000 bis 500.000.
Ungewöhnliches Verhalten heißt noch lange nicht ADHS
Wenn Ihr Kind also zuhause oder in der Schule ein auffälliges Verhalten mit typischen ADHS-„Symptomen“ zeigt, bedeutet das noch lange nicht, dass dem auch tatsächlich ein krankhaftes Geschehen im Sinne von ADHS zugrundeliegt. Denn zum einen können nahezu alle dieser „typischen“ Auffälligkeiten bisweilen auch bei gesunden Kindern vorübergehend beobachtet werden. Zum anderen würde sich Ihr Kind unter anderen Umständen, z. B. in einer anderen Schule, möglicherweise unauffällig verhalten.
ADHS: Fachbegriffe bei der Untersuchung
Welche fünf Bereiche umfasst die „multimodale sozialpädiatrische Diagnostik“ zur Feststellung einer ADHS?
Mediziner lieben Fremdwörter und unverständliche Begriffe. Zur multimodalen sozialpädiatrischen Diagnostik gehören die folgenden Bereiche:
- Entwicklungsstand / Intelligenz
- körperlicher / neurologischer Befund
- psychischer Befund
- Psychosozialer Hintergrund
- Abklärung der Ursachen (Ätiologie)
Welche kindlichen Entwicklungsdimensionen müssen bei der Diagnostik von ADHS berücksichtigt werden?
Zur Diagnosestellung bei ADHS ist immer eine mehrdimensionale Abklärung auf fachlich qualifiziertem Niveau erforderlich, wird die
- biologische,
- psychische und
- soziale
Entwicklungsdimension Ihres Kindes berücksichtigt.
Behandlung
Wie wird ADHS behandelt?
Die Verhaltensauffälligkeiten bei ADHS lassen sich heutzutage recht gut behandeln. Die Therapie besteht meist aus mehrerern Bausteinen; diese umfassen u. a. psychosoziale, pädagogische, psychotherapeutische und medikamentöse Maßnahmen.
Es ist entscheidend, die Behandlung individuell angepasst und das soziale Umfeld (Familie, Lehrer, usw.) einbezogen wird. Familie und Schule können dem Kind oder Jugendlichen helfen, das Leben besser zu bewältigen und persönliche Fähigkeiten zu fördern. Denn ein wichtiges Therapieziel bei ADHS ist die Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen.
Multimodales Behandlungsstrategie
Das Therapiekonzept für ADHS basiert auf Aufklärung und Beratung von Eltern und betroffenen Kindern. Pädagogische Empfehlungen zur Bewältigung von Problemsituationen werden unter Berücksichtigung individueller familiärer Bedingungen gegeben. Bei älteren Kindern wird Selbstbeobachtung und Selbststeuerung gefördert. Bei Einverständnis der Eltern werden auch Erzieher und Lehrer informiert und beraten.
Die Behandlung umfasst:
- Elterntraining zur Reduktion von hyperkinetischer und aggressiver Symptomatik in der Familie
- Interventionen im Kindergarten oder der Schule zur Verminderung von Verhaltensauffälligkeiten
- Verhaltenstherapie des Betroffen zur Verbesserung von impulsivem Verhalten und unorganisierter Aufgabenbewältigung
- medikamentöse Therapie zur Verminderung von ADHS-Symptomen (v. a. Methylphenidate (Ritalin®)
Medikamentöse Therapie bei ADHS: Ritalin
ADHS: Wann sollte eine Behandlung mit Ritalin begonnen werden?
Deutsche und europäische Behandlungsleitlinien empfehlen den Einsatz von Methylphenidat (Ritalin®) und anderen Medikamenten nur im Rahmen einer therapeutischen Gesamtstrategie oder einer multimodalen Behandlung und nicht als alleinige Maßnahme.
Nur in schweren Fällen mit sehr starker ADHS-Symptomatik wird geraten, eine medikamentöse Therapie bereits nach ausführlicher Beratung der Eltern einzuleiten. Bei Kindern mit weniger stark ausgeprägtem Beschwerdebild sollten erst verhaltenstherapeutische Interventionen erfolgen, bevor an eine Pharmakotherapie gedacht wird.
Dient Ritalin bei ADHS nur dem Ruhigstellen von Kindern?
Ein vorschnelles, auf das Unterbinden von störendem kindlichem Verhalten gerichtetes Verabreichen von Ritalin® (Wirkstoff: Methylphenidat) würde diesem häufig geäußerten Vorurteil Recht geben. Es ist nicht auszuschließen, dass solcher Missbrauch auch tatsächlich stattfindet.
In den Händen von verantwortungsvollen Ärzten und Eltern aber kann sich der Medikationsversuch mit Methylphenidat und anderen Psychostimulanzien als segensreiche Hilfe erweisen. Dies macht gerade auch die Behandlung von vorwiegend aufmerksamkeitsgestörten, motorisch ruhigen bzw. „braven“ Mädchen deutlich, bei der es von vornherein nicht darum gehen kann, ein störendes Verhalten zu beseitigen, sondern nur darum, die Informationsverarbeitung zu verbessern.
Was ist über die langfristigen Folgen des Ritalin-Gebrauchs bekannt?
Bislang wenig. Von Befürwortern des Einsatzes von Methylphenidat (Ritalin®) wird auf die langjährige Anwendung seit über einem halben Jahrhundert (1959) verwiesen. Wissenschaftlich aufgearbeitet wurde diese Fragestellung bisher aber nicht wirklich.
Angesichts des mittlerweile hohen und weiter ansteigenden Verbrauchs des Psychopharmakons erscheint das fehlende Interesse an weiteren Untersuchungen seitens Industrie und Wissenschaft erstaunlich bis bedenklich.
Nichtmedikamentöse Therapie: Bewegungstherapie, alternative Ansätze und Co.
Wie kann man ADHS ohne Medikamente behandeln?
Kann auf eine medikamentöse Therapie verzichtet werden (z. B. weil nur geringe Symptome des ADHS vorliegen), gibt es viele weitere Methoden, die Betroffenen zu unterstützen. Dies gelingt etwa mit:
- Elterntraining/Familieninterventionen: Im Rahmen der Elternschulung werden problematische Verhaltensmuster in Alltagssituationen analysiert. Hierbei wird den betroffenen Kindern in spezifischen Problemsituationen generell Feedback gegeben. Verhält sich das Kind positiv, wird es belohnt (positive Verstärkung) zeigt es hingegen ein unerwünschtes Benehmen hat dies angemessenen negativen Maßnahmen. Zudem lernen Eltern, sich selbstkritisch zu beobachten, damit sie ihre negativen Reaktionen auf das Kind besser unter Kontrolle haben. Ist die familiäre Dynamik gestört oder sind Jugendliche von ADHS betroffen, kann auch eine Familientherapie eine wertvolle Unterstützung sein.
- Interventionen im Kindergarten und der Schule: Bei schulpflichtigen Kindern wird nach einer geeigneten Schulklasse gesucht, in der sich das Kind nicht überfordert fühlt. Der Besuch einer Sonderschulung ist nur selten nötig. Auch im schulischen Umfeld ist es wichtig, analog zum Elterntraining, positiver Verstärkung und negativen Konsequenzen bei unpassendem Verhalten anzuwenden.
- Verhaltenstherapie:Die Verhaltenstherapie für Kinder mit ADHS kann durch Gruppenkonzepte zur Förderung von Konzentration, Lernstrategien und sozialer Kompetenz hilfreich sein. Bei älteren Kindern und Jugendlichen wird die Verhaltenstherapie individuell durchgeführt und soll z. B. das strukturierte Lösen von Aufgaben fördern.
Zusätzliche Maßnahmen zur Behandlung von ADHS beinhalten soziales Kompetenztraining, Psychotherapie zur Verbesserung des Selbstwertgefühls und der Beziehungen mit Gleichaltrigen sowie Übungsbehandlungen zur Verminderung von Rechen-, Lese- und Rechtschreibdefiziten.
Bewegung statt Pillen: Hilft Schwimmen hyperaktiven Kindern?
Hyperaktive Kinder mit Medikamenten „ruhigzustellen“ mag kurzfristig helfen. Die Ursachen werden mit Mitteln wie Ritalin aber ganz sicher nicht behoben. Eine interessante Alternative haben jetzt Prof. Gerd Hölter und Dr. Wolfgang Beudels von der Universität Dortmund vorgestellt: eine Bewegungstherapie im Schwimmbad.
Was zunächst etwas eigenartig klingt, macht bei näherer Betrachtung durchaus Sinn. Denn im Wasser kann man sich einerseits austoben. Andererseits hemmt und verlangsamt Wasser die Bewegungen. Es wirkt wie eine natürliche Bremse. Und das tut den Kindern mit dem „Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom“ (ADHS) offenbar gut, wie die Dortmunder Wissenschaftler in Modellversuchen festgestellt haben. Bei warmem Wasser kommt hinzu, dass es entspannt. So kommen bei der gezielten Bewegungstherapie im Schwimmbad gleich zwei positive Effekte zusammen.
Und so funktioniert die Bewegungstherapie
In den Modellversuchen sollten die ADHS-Kinder aber nicht nur einfach schwimmen. Sie mussten in einer Gruppentherapie auch bestimmte Aufgaben lösen. Dadurch wurden sie angeleitet, nicht einfach jedem Impuls spontan zu folgen (typisch für ADHS-Kinder), sondern planerisch zu handeln. Außerdem mussten sie ganz bestimmte Regeln einhalten und bekamen bei Regelverstößen die gelbe oder rote Karte. Es ging bei der Behandlung also nicht nur um die Bewegung, sondern auch um das Erlernen sozialer Kompetenz. Und während die Kinder im Schwimmbad unterwegs waren, wurden draußen die Eltern von Kinderpsychologen befragt und beraten.
Das Dortmunder Team berichtet über insgesamt sehr gute Erfolge. Leider gibt es dazu bisher aber noch keine standardisierten Angebote in jeder Stadt. Dennoch empfehlen wir Ihnen, diesen Ansatz mit dem betreuenden Arzt oder der Ärztin zu besprechen.
Alternative Behandlung von ADHS: Helfen Diäten, Ergotherapie, autogenes Training und Co.?
Nein. Gemäß der wissenschaftlichen Leitlinie „Hyperkinetische Störungen“ der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie ist der Nutzwert der folgenden Therapiemaßnahmen nicht vorhanden oder nicht erwiesen:
- phosphatarme Diät
- Anwendung homöopathischer Arzneimittel zur Behandlung der hyperkinetischen Kernsymptomatik
- nondirektive oder tiefenpsychologische Therapie zur alleinigen Behandlung der hyperkinetischen Kernsymptomatik
- Mototherapie, Krankengymnastik, Psychomotorik und Ergotherapie zur alleinigen Behandlung der hyperkinetischen Kernsymptomatik
- Entspannungsverfahren (einschl. autogenem Training) zur Behandlung der hyperkinetischen Kernsymptomatik
Für die Einnahme mehrfach ungesättigter Fettsäuren wie auch für das Neurofeedback-Verfahren wurden in kleineren Studien teilweise positive Effekte ermittelt. Bevor diese Maßnahmen allgemein empfohlen werden können, sind allerdings noch weitere Studien notwendig.
Alltag und Selbsthilfe
Wie können Eltern ihrem Kind mit ADHS im Alltag helfen?
In erster Linie können Sie das Selbstbewusstsein Ihres Kindes stärken, indem Sie verständnisvoll und liebevoll mit ihm umgehen. Dazu zählt auch ein gefühlvoller und bestärkender Körperkontakt.
Liebe und Vertrauen sind Teil der Therapie
Nehmen Sie Ihr Kind öfter in die Arme. Aber keinesfalls mit einer Geisteshaltung und Worten wie: „Das kannst Du eben nicht, weil Du krank bist“! Das Gegenteil muss die Devise sein: Motivieren Sie Ihr Kind dazu, das aus sich herauszuholen, wozu es in der Lage ist. Dies gelingt, wenn Sie bei jedem Misserfolg betonen, dass Sie die Bemühungen Ihres Kindes genau erkannt haben und wertschätzen, diese aber noch nicht ausreichen.
Die für die allermeisten Eltern (unabhängig davon, ob ADHS eine Rolle spielt oder nicht) äußerst schwere, aber umso lohnendere Aufgabe lautet: Fordern Sie von Ihrem Kind freundlich und wohlwollend konsequent das Notwendige ein und nehmen Sie dabei den (durchaus natürlichen) Missmut Ihres Kindes an, ohne ihm zu widersprechen oder sich rechtzufertigen! Damit ist auf Dauer allen geholfen.
Wie wird mein hyperaktives Kind ruhiger und konzentrierter?
Wenn Ihr Kind einen überschießenden Bewegungsdrang zeigt und sich nur schlecht konzentrieren kann, benötigt es Ihre volle Unterstützung und intensive Hilfe. Sei es, um möglicherweise angebrachte therapeutische Maßnahmen wirkungsvoll zu ergänzen, oder um sie gar nicht erst notwendig werden zu lassen.
Einige Tipps, was Sie selbst beitragen können:
- Ihr eigenes Verhalten dem Kind gegenüber ist enorm wichtig. Verhalten Sie sich liebevoll und konsequent.
- Sorgen Sie für einen möglichst geregelten und durch Rituale strukturierten Tagesablauf.
- Sorgen Sie für geregelte Schlafenszeiten und geeignete, Ruhe und Sicherheit vermittelnde Rahmenbedingungen zum Ein- und Durchschlafen. Rituale (z. B. Vorlesen, Gute-Nacht-Lied) sind auch hier sehr hilfreich. Achten Sie auf die Bedürfnisse Ihres Kindes (z. B. Tür geöffnet lassen, Licht an im Flur, gelegentliches Ausweichen ins Elternbett).
- Erstellen Sie Pläne für Handlungsabläufe (möglichst nicht mehr als drei Dinge nacheinander, z. B. Schreibtisch aufräumen, Schulranzen packen, Haustier füttern).
- Klare Regeln und Absprachen helfen Ihrem Kind auch sehr beim Lernen. Die Mühe, sie gemeinsam zu vereinbaren und einzuhalten (z. B. mit Belohnungssystem/Punkteplan), lohnt sich!
- Verzichten Sie auf gewaltsam erzwungenes Stillsitzen.
- Verschaffen Sie dem Bewegungsdrang Ihres Kindes ein Ventil, anstatt ihn unterdrücken zu wollen.
- Sportliche Freizeitbetätigung sollte Bestandteil des Nachmittags sein.
- Sorgen Sie für ungezwungene Ruhephasen und unterstützen Sie Ihr Kind dabei, zur Ruhe zu kommen (z. B. durch ruhige Musik, Entspannungstechniken).
- Achten Sie auf kurze Lerneinheiten und nutzen Sie Möglichkeiten, Lernen mit Bewegung zu verknüpfen (z. B. Sitzball als Schreibtischstuhl, Laufdiktate).
Können Kinder mit ADHS einen „normalen“ Kindergarten oder eine „normale“ Schule besuchen?
Normalerweise ja. Im Rahmen der derzeit laufenden Bemühungen um Integration der betroffenen Kinder kommt es ohnehin zum Abschmelzen separater Betreuungsangebote. Suchen Sie gemeinsam mit den Betreuern im Kindergarten oder in der Schule – und bei ausgeprägten Teilleistungsstörungen auch unter Hinzuziehung von Arzt und Therapeuten – nach sinnvollen Lösungen für eventuell auftretende Probleme. Möglicherweise fällt Ihrem Kind die Eingliederung in einen Kindergarten mit kleinen Gruppen bzw. in einer Schule mit kleinen Klassen leichter.
Prognose
Kann ADHS im Alter verschwinden?
Nur zum Teil. Den Fachleuten zufolge gibt es ADHS in allen Altersgruppen. Früher wurde vermutet, dass sich die Verhaltensauffälligkeiten im Laufe der Pubertät auswachsen.
Aber nur bei etwa einem Drittel der betroffenen Kinder verschwinden die ADHS-Symptome mit den Jahren. Für die anderen besteht die Gefahr lebenslanger Folgeschäden, wenn die Störung unberücksichtigt bleibt.
Was sich mit zunehmendem Alter allerdings verändert, ist das Erscheinungsbild: An die Stelle der vorpubertären, vor allem die Jungen betreffenden überschießenden Motorik treten vielfach Schusseligkeit, Unorganisiertheit und Vergesslichkeit. Unabhängig davon, ob es sich nun bei ADHS um eine „echte“ Krankheit handelt oder nicht, besteht deshalb (Be-) Handlungsbedarf, wenn sich für Ihr Kind und seine Umgebung Belastungen aus dem „abnormen“ Verhalten ergeben.
Folgen für die Erkrankten: Spätfolgen, Unfallgefahr und Co. bei ADHS
Was sind mögliche (Spät-) Folgen von ADHS?
Wird einem Kind mit ADHS nicht geholfen, drohen ihm gravierende soziale Probleme und Folgeschäden, die mitunter zu einer lebenslangen Beeinträchtigung führen können.
Dazu zählen:
- Schulische und berufliche Minderqualifikation, die nicht den geistigen Fähigkeiten entspricht.
- Unvermögen zum Aufbau und Erhalt sozialer Beziehungen.
- Drohendes Abrutschen in die Jugendkriminalität.
- Deutlich erhöhtes Unfallrisiko, hoher Anteil an selbstverschuldeten Schädelhirnverletzungen.
- Erhöhtes Risiko für die Entwicklung diverser Erkrankungen wie Fibromyalgiesyndrom, Herzinfarkt, Depression, Angststörungen, Substanzmissbrauch oder Suchterkrankungen (Nikotin, Alkohol, Opiate).
Besteht für Kinder mit ADHS ein erhöhtes Unfallrisiko?
Ja, das Unfallrisiko ist für Menschen mit ADHS statistisch sechsfach erhöht.
Unter den Patienten mit Schädelhirnverletzungen ist die Gruppe der ADHS-Betroffenen vor allem durch schwere, selbstverschuldete Unfälle überdurchschnittlich stark vertreten.
Wissenswertes zu ADHS
Schadet meinem Kind der Kontakt zu einem ADHS-Kind? Kann das abfärben?
Nein. In dieser Richtung müssen Sie nichts befürchten. Eher ist das Gegenteil der Fall, wenn Ihr Kind von Ihnen gelernt hat, sich nicht gleich ausgrenzend und ablehnend gegenüber Anderen zu verhalten, die etwas aus der Reihe tanzen. Dann besteht für das an ADHS leidende Kind die Chance, auf eine offene und verständnisvolle Umgebung zu treffen, die ihm die Eingliederung erleichtert.
Gleiches gilt auch für die Eltern. Leider neigen gerade besorgte Eltern in solchen Fällen oft zu einem Ausgrenzungsverhalten („Spiele lieber nicht so viel mit Torben“), das den Integrationsprozess für das betroffene Kind erschwert. Kinder dagegen sind meist viel eher dazu in der Lage, mit ihren „andersartigen“ Altersgenossen angemessen umzugehen. Dadurch kann das Ausmaß an psychischen Folgeschäden bei den ADHS-Kindern verringert werden.
Wenn ein sehr aggressives Verhalten eines ADHS-Kindes zu befürchten ist, sollte sich in Absprache mit den Beteiligten ein Erwachsener in der Nähe der spielenden Kinder aufhalten, um notfalls eingreifen zu können.
Weshalb gibt es die Diagnose ADHS noch nicht lange?
Als möglicherweise erste Beschreibung des Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndroms (ADHS) in der Fachliteratur gilt der Beitrag des englischen Kinderarztes George F. Still in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ aus dem Jahr 1902.
Still beschrieb, freilich noch ohne Verwendung der modernen ADHS-Begrifflichkeit, Kinder und Jugendliche mit Aufmerksamkeitsproblemen, allgemeiner motorischer Unruhe und mangelnder Impulskontrolle. Statt schlechter Erziehung oder ungünstigen Umweltbedingungen hielt er eine angeborene Konstitution als hauptverantwortlich für das Phänomen.
Auf den engeren Zusammenhang dieser drei Verhaltensdimensionen ist man erst in jüngster Zeit (wieder) durch systematische Untersuchungen von Kindern und Jugendlichen gestoßen. Die Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit ab einem gewissen Ausmaß von psychosozialer Beeinträchtigung hat zur Namensgebung und diagnostischen Zuordnung von ADHS geführt.
Wer ist alles an der Betreuung von ADHS-Kindern beteiligt?
Folgende Bezugspersonen, Fachkräfte und Institutionen gehören zu dem Netzwerk, das Ihnen und Ihrem Kind durch miteinander abgestimmtes Kommunizieren und Handeln die bestmögliche Unterstützung und Betreuung zur Überwindung der ADHS-Problematik bieten sollte:
- ärztlicher Betreuer mit spezieller Qualifikation
- ggf. weitere Spezialisten/Therapeuten in Praxis und Klinik
- Elternverband
- Frühförderung
- Kindergarten
- Schule
- Förderschule
- Schulpsychologischer Dienst
- Tagesstätte
- Hort
- Jugendamt
- Gesundheitsamt
- Sozialamt
- Versorgungsamt
Wie lautet die Leitlinien-Definition von ADHS?
Im Gegensatz zu den Kinder- und Jugendpsychiatern, die ihre Leitlinien-Definition der „Hyperkinetischen Störung“ am diagnostischen Klassifikationssystem ICD-10 ausrichten, bezieht die Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder- und Jugendärzte auch das amerikanische System DSM-IV mit ein. In ihrer Leitlinie definiert sie den Krankheitsbegriff der „Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung“ folgendermaßen:
„ADHS liegt vor, wenn unaufmerksames und impulsives Verhalten mit oder ohne deutliche Hyperaktivität ausgeprägt ist, nicht dem Alter und Entwicklungsstand entspricht und zu deutlicher Beeinträchtigung in verschiedenen sozialen Bezugssystemen und im Leistungsbereich von Schule und Beruf führt. Diese Auffälligkeiten sollen länger als 6 Monate bestehen und beeinträchtigende Symptome von Hyperaktivität-Impulsivität und Unaufmerksamkeit sollen bereits vor dem Alter von 7 Jahren vorhanden gewesen sein. Die Symptome sollen nicht ausschließlich im Rahmen einer tief greifenden Entwicklungsstörung (z. B. Autismus-Spektrum) oder Psychose auftreten und nicht besser durch andere somatische oder psychiatrische Störungen erklärt werden können.“
Damit wird, anders als bei der strikten ICD-10-Auslegung, auch dem vorwiegend unaufmerksamen Subtyp (ADS) Rechnung getragen.
Kritische Stimmen
Wie ist die Meinung von ADHS-Kritikern?
Kritiker betrachten ADHS nicht als genetisch und neurobiologisch fixiertes Krankheitsgeschehen, sondern als gesellschaftliches Konstrukt. Sie interpretieren das Erscheinungsbild als Folge der aktuellen Lebensumstände der Kinder und der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.
Als solche werden angeführt:
- veränderte Kindheit mit erhöhten Ansprüchen an „reibungsloses Funktionieren“ und Zweckmäßigkeit sowie zunehmendem Leistungsdruck
- abnehmende gesellschaftliche Toleranz gegenüber kindlichem bzw. kindgerechtem Verhalten
- zunehmende Bewegungsarmut, Reizüberflutung, Sinnentleerung, Strukturlosigkeit und Vernachlässigung
- zu wenig bedürfnisorientiertes und binnendifferenziertes Schulsystem
ADHS aus der Sicht eines ADHS-Kritikers
Der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther äußerte sich auf die Frage, was ADHS sei, in einem Interview folgendermaßen:
„ADHS ist zunächst nicht mehr als die Bezeichnung für eine Sammlung von Symptomen, die man bei Kindern beobachten kann. Mediziner sind gezwungen, für bestimmte Behandlungen bestimmte Namen zu erfinden. Sie definieren Krankheiten, um die Behandlung bei den Krankenkassen abrechnen zu können, und genau das ist bei ADHS geschehen.“
Der Wissenschaftler und Buchautor hält die zunehmende Strukturlosigkeit der äußeren Welt für problematisch beim Aufbau der Strukturen im kindlichen Gehirn, insbesondere bei den Kindern, die einen größeren Strukturbedarf haben als andere. Als beispielhafte Ursachen für den Strukturverlust nennt Hüther die Hektik des modernen Alltags und die diversen Probleme, die junge Familien belasten, wie z. B. Partnerschaftskonflikte oder die schwierige Vereinbarkeit eines gesunden Familienlebens mit dem Karriereaufbau.
Haben Experten unterschiedliche Ansichten zu ADHS?
Ja, und nicht nur zu ADHS. Es gibt nur wenige Gebiete in der Medizin, die nicht durch einen Wettstreit der unterschiedlichen Meinungen und wissenschaftlichen Ergebnisse gekennzeichnet sind.
Und selbst dort, wo sich die Expertengemeinschaft einig zu sein scheint, ist nicht ausgeschlossen, dass sich – durch neue Erkenntnisse oder geänderte Sichtweisen – die anerkannte Lehrmeinung im Lauf der Jahre verändert, manchmal sogar dramatisch.
Auch die in ihren jeweiligen Lebenswelten anerkannten Meinungsführer haben kein Patent auf eine allgemeingültige Wahrheit. Deshalb bemühen wir – die Redaktion von Navigator Medizin – uns darum, ein möglichst breites Wissens- und Meinungsspektrum bei unseren Antworten (und Fragestellungen) zu berücksichtigen. Diese Vielfalt ist allerdings keinesfalls mit Beliebigkeit gleichzusetzen, an die inhaltliche Qualität und den Nutzwert für den Leser stellen wir sehr hohe Ansprüche. Bei einem so umstrittenen Thema wie ADHS kann sich das gelegentlich durch Antworten mit scheinbar gegenläufigen Perspektiven und Aussagen bemerkbar machen.
Quellen:
- Leitlinie „ADHS bei Kindern und Jugendlichen (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung)“ der Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder- und Jugendärzte e.V.
- Bundesärztekammer
- Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder- und Jugendärzte e.V., aktualisierte Fassung vom Januar 2007 / 2009 (Medikamente)
- Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder- und Jugendärzte e.V.
- Multimodales Behandlungkonzept und Therapieziel bei ADHS. Berufsverbände für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland. www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org.
- Nichtmedikamentöse Behandlungsmöglichkeiten bei ADHS . Berufsverbände für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland. www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org.