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Fingolimod (Gilenya®) wird eingesetzt bei der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose (MS), wenn es unter der üblichen Basistherapie zu einer deutlichen Verschlechterung kommt oder die MS insgesamt sehr schwer verläuft.

Lesen Sie auch: Fortschritt durch neue MS-Medikamente: alles nur ein Märchen?

Auf einen Blick

  • Fingolimod (Gilenya®) kommt in Betracht bei der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose (MS), wenn es unter der üblichen Basistherapie (mit Interferon oder Glatirameracetat/Copaxone®) zu einer deutlichen Verschlechterung kommt oder die MS insgesamt sehr schwer verläuft.
  • Fingolimod ist wie fast alle MS-Medikamente ein Immunsuppressivum, unterdrückt also die körpereigene Immunabwehr.
  • Verglichen mit Plazebo reduziert Fingolimod die Wahrscheinlichkeit eines MS-Schubes innerhalb eines Jahres um etwa die Hälfte (von 40% auf 18%).
  • Unter den möglichen Nebenwirkungen ist vor allem eine erhöhte Infektanfälligkeit zu nennen, die in seltenen Fällen zu gefährlichen Infektionskrankheiten führen kann.
  • Vor allem wegen des letzten Punktes ist eine gründliche Abwägung wichtig, denn sowohl die Einnahme als auch der Verzicht bergen Risiken. Bei dieser Abwägung kann Sie der Arzt oder die Ärztin beraten, die Entscheidung sollten aber im besten Fall Sie selbst treffen.

Weitere Fragen zu Fingolimod beantworten wir im folgenden Beitrag.

Wirkung

Auf welche Weise wirkt Fingolimod (Gilenya®)? 

Fingolimod ist wie alle anderen Medikamente der Eskalationstherapie (wenn Basistherapie nicht mehr ausreichend wirkt) ein Immunsuppressivum. Das spezielle Wirkprinzip: Die Substanz hindert Lymphozyten daran, ins Blut und ins Nervensystem zu gelangen, wo diese Immunzellen an der Zerstörung der Nervenscheiden beteiligt sind.

In der Folge sind also weniger Lymphozyten aktiv unterwegs (Abnahme um rund 25%). Wie sich dieser Effekt auf die Multiple Sklerose auswirkt, ist unklar. Wahrscheinlich werden durch die verringerte Lymphozyten-Auswanderung MS-typische, entzündliche Reaktionen an den Nerven unterdrückt.

Das Medikament entfaltet seine Wirkung auch in der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit (Liquor). Damit ist Fingolimod direkt am Ort des Geschehens wirksam.

Biochemisch ist Fingolimod ein sogenannter Sphingosin-1-Phosphat (S1P)-Rezeptormodulator. Das klingt kompliziert und ist es auch. Da Mediziner und vor allem Pharmakologen Arzneistoffe immer gern in eine Schublade stecken, gibt es auch für Fingolimod eine Klassenbezeichnung. Es handelt sich demnach um einen sogenannten S1P-Rezeptormodulator. Das muss man sich aber nicht zwingend merken.

Studien zur Wirksamkeit

Wie wirkt Gilenya® im Vergleich zu Plazebo?

In der Zulassungsstudie wurde Gilenya® bei Interferon-vorbehandelten Patienten mit Plazebo verglichen. In der Plazebogruppe kam es innerhalb eines Jahres bei 40% der Studienteilnehmer zu einem weiteren MS-Schub. Unter Gilenya® lag diese Rate nur bei 18%. Auch das Fortschreiten von Behinderungen wurde unter Fingolimod gegenüber Plazebo signifikant gesenkt (in absoluten Zahlen ist dieser Effekt aber überschaubar: 82% der Teilnehmer ohne Behinderungszunahme unter Gilenya®, 76% unter Plazebo).

Wie wirkt Gilenya® im Vergleich zu anderen MS-Wirkstoffen?

Vor der Zulassung wurde Gilenya® in einer Studie direkt mit dem Beta-Interferon Avonex® verglichen. Alle Studienteilnehmer hatten zuvor bereits Interferon-Spritzen angewendet. Auch hier war Gilenya® in Sachen Schubrate überlegen: Sie lag pro Jahr bei 16%, unter der Weiterbehandlung mit Avonex® dagegen bei 33%. Beim Kriterium Behinderungszunahme zeigte sich hier allerdings kein Vorteil für Fingolimod.

Welchen Vorteil hat Fingolimod gegenüber anderen Medikamenten der Eskalationstherapie?

Eine sogenannte Eskalationstherapie kann dann notwendig sein, wenn es trotz der Behandlung mit Basismedikamenten wie Interferon zu einer Krankheitsprogression kommt. Ob man sich dann für eine solche "Eskalation" entscheidet, hängt von verschiedenen Faktoren ab, aber wenn ja, dann ist auch Fingolimod (Gilenya®) eine Option.

Dessen wesentlicher Vorteil ist, dass es einmal täglich als Tablette eingenommen werden kann, also nicht gespritzt werden muss. Nur die erste Einnahme erfolgt unter ärztlicher Kontrolle, weil es besonders in den ersten sechs Stunden nach der ersten Einnahme unter anderem zu einem Absinken der Herzfrequenz kommen kann. Damit ist auch gleich eine der gefährlichsten Nebenwirkungen genannt und daran wird deutlich, dass es auch Nachteile gibt.

Tipps zur Einnahme

Wie wird Gilenya® eingenommen?

Gilenya® kann als Tablette eingenommen werden. Die übliche Dosierung liegt bei 0,5 mg pro Tag.

Was tun, wenn ich eine Tablette Fingolimod vergessen habe?

Wenn Sie die Einnahme von Fingolimod (Gilenya®) vergessen haben, ist die beste Reaktion, nichts zu tun. Also nicht etwa die Tablette deutlich später oder gar am nächsten Tag "nachzuschlucken".

Es reicht aus, am nächsten Tag die reguläre Dosis einzunehmen. Mit negativen Konsequenzen ist nicht zu rechnen.

Haben Sie versehentlich mehr als die verschriebene Dosis eingenommen, droht auch keine größere Gefahr. Dosen bis zum 80-fachen von 0,5 mg wurden von gesunden freiwilligen Probanden gut vertragen. Lediglich ein leichtes Engegefühl in der Brust wurde häufiger beschrieben, was auf eine Reaktion der Atemwege zurückzuführen ist.

Weitere Fragen zur Einnahme

Darf ich Autofahren. wenn ich Fingolimod einnehme?

Die Fahrtüchtigkeit oder das Bedienen von Maschinen ist unter der Einnahme von Fingolimod nicht eingeschränkt.

Darf Fingolimod mit anderen MS-Medikamenten kombiniert werden?

Nein, zumindest nicht mit anderen Mitteln, die ebenfalls das Immunsystem unterdrücken, und das sind ja praktisch alle. Das gilt nicht nur für andere MS-Medikamente, sondern generell für alle anderen Arzneistoffe, die das Immunsystem hemmen.

Zur Erklärung: Schon die Einnahme von Fingolimod allein ist ein heftiger Angriff auf das körpereigene Abwehrsystem, der zwar die Aktivität der Multiplen Sklerose zurückdrängen kann, aber eben auch zu einer relevanten Immunschwäche führt. Daraus resultieren eine ganze Reihe möglicher Nebenwirkungen und Komplikationen. Das gilt aber in ähnlicher Weise auch für andere MS-Medikamente wie Interferon oder Kortison. Zwei davon auf einmal wäre einfach zu viel.

Vorsicht auch bei Umstellung von Basisbehandlung auf Fingolimod

In gewisser Weise gilt das auch für die Umstellung von Basistherapie auf Fingolimod. Normalerweise ist von den Basismedikamenten Interferon oder Glatirameracetat eine sofortige Umstellung möglich. Anders liegt der Fall, wenn sich schon unter der Basistherapie eine relevante Immunschwäche entwickelt hat und sich dies etwa durch einen Mangel an bestimmten Blutzellen bemerkbar macht. Dann müssen sich die Blutwerte erst normalisieren und man muss bis zur Umstellung möglicherweise einige Wochen warten, bis das Basismedikament „ausgewaschen“ ist.

Wurde zuvor schon mit Natalizumab (Tysabri®) behandelt, ist im Unterschied zu Interferon und Glatirameracetat besondere Vorsicht geboten. Denn Natalizumab besitzt eine lange Halbwertszeit und kann noch zwei bis drei Monate nach Absetzen wirken. Dies kann bei sofortiger Umstellung auf Fingolimod zu Immuneffekten bzw. verstärkter Immunschwäche führen.

Können neben Fingolimod auch andere Immunsuppressiva eingenommen werden?

Nein, immunsuppressive, immunmodulierende und das Immunsystem beeinflussende Medikamente im Rahmen der Krebsbehandlung sollen nicht gleichzeitig verabreicht werden, weil sich die Wirkungen auf das Immunsystem summieren können.

Bei einer gleichzeitig durchgeführten hochdosierten Kortisonbehandlung besteht kein Hinweis auf eine erhöhte Infektionshäufigkeit. 

Wann nicht?

Wann darf man Fingolimod (Gilenya) nicht einnehmen? p>Es gibt eine ganze Reihe an Situationen oder Vorerkrankungen, bei denen Fingolimod nicht eingenommen werden darf. Dazu gehören:

  • Schwangerschaft und Stillzeit
  • Kinder und Jugendliche
  • schwere Herzrhythmusstörungen
  • andere schwere Herzerkrankungen (z.B. nach Herzinfarkt , starker Bluthochdruck)
  • Leberfunktionsstörungen, z.B. Leberzirrhose
  • Leberinfektionen wie Hepatitis B
  • Makulaödem (spezielle Augenerkrankung)
  • Netzhautschwellung am Augenhintergrund
  • möglichst nicht während einer Infektion (ggf. Einnahme unterbrechen)
Darf man Fingolimod (Gilenya) während der Schwangerschaft oder Stillzeit einnehmen?

Nein. Bereits vor Beginn der Behandlung muss sichergestellt sein, dass man nicht schwanger ist. Denn es gibt Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Fehlgeburten und Schäden beim Ungeborenen. Sollte es während der Behandlung dennoch zu einer Schwangerschaft kommen, muss das Medikament abgesetzt werden.

Bei geplanter Schwangerschaft wird empfohlen, nach Absetzen der Fingolimod-Behandlung zwei Monate zu warten, denn so lange ist noch mit einer Medikamentenwirkung zu rechnen.

Auch in der Stillzeit gilt dieses Verbot. Denn die Substanz gelangt in die Muttermilch und die Konzentration des Wirkstoffs ist dort zwei- bis dreimal höher als im mütterlichen Blut. Da man Nebenwirkungen und mögliche Schäden beim Säugling nicht ausschließen kann, darf das Medikament in der Stillzeit nicht eingenommen werden.

Die Fruchtbarkeit ist übrigens unter einer Behandlung mit Fingolimod nicht eingeschränkt.

Mit welchen anderen Medikamenten darf man Gilenya® nicht zusammen einnehmen?

Nicht erlaubt ist bei Gilenya® die gleichzeitige Einnahme von anderen Immunblockern, weil dadurch der abwehrschwächende Effekt zu groß wäre. Ebenfalls große Vorsicht geboten ist bei Medikamenten, die die Herzfrequenz senken, vor allem bei Betablockern. Falls Sie solche Medikamente einnehmen, bitte unbedingt mit Ihrem Arzt abklären. 

Bewertung

Wie bei den meisten anderen MS-Medikamenten auch ist die Bewertung von Fingolimod (Gilenya) sehr schwierig.

Einerseits senkt Fingolimod statistisch betrachtet die Häufigkeit von weiteren MS-Schüben. Andererseits ist dieser Effekt im Einzelfall sehr unterschiedlich ausgeprägt – von nachhaltiger Wirksamkeit bis hin zu überhaupt keiner. Und es können in seltenen Fällen schwere Nebenwirkungen auftreten. Aber das gilt auch für alle anderen MS-Medikamente, es handelt sich bei der Einnahme also immer um eine Abwägung der Vorteile und Risiken. Leider kommt dieser Aspekt im Arztgespräch mitunter zu kurz.

Wissenswertes

Stimmt es, dass Fingolimod ein Naturstoff ist?

Nicht ganz. Bei der Entwicklung der Substanz stand ein Naturstoff Pate: Es handelt sich um eine synthetische Nachbildung von Myriocin, einem Stoff, der in bestimmten Pilzen vorkommt. Dass dieser immunsuppressiv wirkt, wurde Anfang der 90er Jahre von japanischen Forschern entdeckt.

Wofür ist Gilenya® zugelassen?

Gilenya® ist für die Eskalationsbehandlung von Menschen mit hochaktiver schubförmiger MS-Erkrankung zugelassen, die auf eine Behandlung mit Interferon nicht ansprechen. Auch bei rasch fortschreitender Krankheit kann das Medikament verschrieben werden.

Warum ist Fingolimod nicht als Basismedikament zugelassen?

Die Zulassungsstudien ergaben, dass Fingolimod (Gilenya®) teilweise zu gefährlichen Nebenwirkungen führen kann, so zum Beispiel am Herzen. Vor allem deshalb ist das Medikament nach aktueller Einschätzung nicht als Basismedikament geeignet.

Ein in Tablettenform einzunehmendes Basismedikament wäre zwar sehr wünschenswert. Doch ist das Risiko bei einer breiteren Anwendung dieses Wirkstoffs höher als das der empfohlenen Basismedikamente wie Interferon. In Europa ist Fingolimod deshalb ein Medikament der sogenannten Zweitlinienbehandlung, ähnlich wie Natalizumab. Diese Wirkstoffe werden also nur dann eingesetzt, wenn die Basistherapie nicht oder nicht ausreichend wirkt oder die Krankheit sehr aktiv ist.

Ginge es nur nach der Wirksamkeit, wäre Fingolimod sicher auch ein Medikament der ersten Wahl. Die Wirksamkeit von Fingolimod ist, wenn man die zwei Zulassungsstudien betrachtet, relativ gut: Im Vergleich zu einem Plazebo-Präparat (Scheinmedikament) ergab sich eine um 54% höhere Wirksamkeit. Im direkten Vergleich mit Interferon-Präparaten schnitt Fingolimod um 38% bis 52% besser ab. In der MRT-Untersuchung ließen sich weniger Läsionen nachweisen und der Behinderungsgrad war tendenziell verringert. 

Quellen:

  • Maucher, I V. Fingolimod (2019). www.gelbe-liste.de.

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Autoren unseres Artikels
 
Dr. med. Jörg Zorn, Arzt

Dr. med. Jörg Zorn
Arzt

    Studium:
  • Universitätsklinik Marburg
  • Ludwig-Maximilians-Universität in München
    Berufliche Stationen:
  • Asklepios Klinik St. Georg, Hamburg
  • Medizinischer Chefredakteur im wissenschaftlichen Springer-Verlag

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Dr. med. Julia Hofmann
Ärztin und medizinische Fachautorin

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Medizinische Prüfung
des Artikels
Dr. med. Monika Steiner, Ärztin / Gutachterin für medizinische Fortbildung

Medizinisch geprüft von
Dr. med. Monika Steiner
Ärztin / Gutachterin für medizinische Fortbildung

    Studium:
  • Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn
    Berufliche Stationen:
  • Leitung Medizin-Online / Chefredakteurin Springer Nature
  • Medizinische Gutachterin für ärztliche CME-Fortbildung bei esanum.de

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