Sieht man Menschen mit Schizophrenie ihre Krankheit an?
Zuletzt aktualisiert am 07. Dezember 2017 um 07:29 Uhr 08. Oktober 2010 um 12:56 Uhr
Ob man einem Menschen seine psychische Erkrankung ansieht, ist nicht pauschal zu beantworten. Genauso wenig wie man einem Menschen mit einer Herzschwäche oder einer Lungenerkrankung sein Leiden ansehen muss, obwohl es auch hierfür durchaus äußere Anzeichen geben kann. Viel wichtiger ist aber: Wieso stellt sich diese Frage überhaupt?
Stigmatisierung des Fremden
Trotz zahlreicher Aufklärungskampagnen, öffentlicher Berichte prominenter Betroffener über ihre Erkrankung und Umstrukturierungen in psychiatrischen Kliniken und Einrichtungen haftet psychischen Erkrankungen nach wie vor ein Stigma an. Das hängt damit zusammen, dass das Wissen über die Psychiatrie in der Allgemeinbevölkerung äußerst unzureichend ist.
Nun ist es etwas sehr Menschliches, die Dinge, die wir nicht kennen und verstehen, die uns fremd und unheimlich sind, von uns fern zu halten. Sie werden möglichst ignoriert oder verheimlicht, um bloß keinen Anstoß zu erregen oder unangenehm aufzufallen.
Auch ein gebrochenes Bein ist nicht zu übersehen
Solche Berührungsängste verbinden sich auch mit der Frage nach der Sichtbarkeit psychischer Erkrankungen. Keiner würde auf die Idee kommen zu fragen, ob man jemandem, der sich das Bein gebrochen hat, dies auch ansieht. Erstens kennt man den Anblick von Menschen, die ihren dicken Gipsfuß mit Krücken hinter sich herschleppen; zweitens werden solche Leute nicht etwa schief angesehen oder vermieden, sondern im Gegenteil eher ernstlich bemitleidet und umsorgt.
Die Folgen: Rückzug und Verheimlichung
Das würde einem schizophrenen Patienten wohl eher nicht passieren. Das Schlimme daran ist, was das zur Folge hat. Wer an einer psychischen Erkrankung leidet, wird es tunlichst vermeiden, darüber zu reden. Vielleicht verheimlicht er seine Krankheit selbst nahestehenden Verwandten und Freunden gegenüber, was sehr anstrengend und kräftezehrend sein kann.
Und: Er wird sich, gerade wenn er in der Öffentlichkeit irgendwie „auffallen“ könnte, mehr und mehr zurückziehen. Dieser Rückzug ist ganz typisch für psychisch kranke Menschen. Er hat oft mit der Krankheit selbst zu tun, aber eben auch mit den befürchteten Folgen der Stigmatisierung und Ablehnung. In der Therapie ist es deswegen sehr wichtig, diesen Rückzug zu vermeiden und die Patienten zu motivieren, am sozialen Leben teilzunehmen.
Mögliche äußere Anzeichen
Aber jetzt zurück zur eigentlichen Frage. Es ist durchaus wichtig, sie zu stellen, gerade um Erkrankungen wie die Schizophrenie aus der Ecke des Ominösen und Undurchsichtigen herauszuholen.
So wie der Herzkranke nach einer Etage Treppensteigen heftig ins Schnaufen gerät und der Lungenkranke unter Umständen blass und ausgemergelt aussieht, können sich natürlich auch bei Schizophrenen die Symptome nach außen hin zeigen. Es sind nur eben keine körperlichen Merkmale, sondern Veränderungen im psychischen Bereich, und zwar im Denken und Wahrnehmen, Fühlen und Handeln. Sie sind allerdings sehr vielgestaltig und meist auch nicht eindeutig einer bestimmten Erkrankung zuzuordnen. Daher nur ein paar wenige Beispiele:
Im Gespräch mit einem an Schizophrenie Erkrankten kann man etwa das Gefühl haben, der Gesprächspartner ist nicht ganz bei der Sache, redet irgendwie wirr und unzusammenhängend oder springt von einem Punkt zum nächsten. Nahestehenden Personen fällt vielleicht eine veränderte Stimmungslage auf. Der Betroffene ist gereizt und launisch oder auch traurig und antriebslos. Dann gibt es auch im motorischen Bereich recht typische Auffälligkeiten. Das heißt z.B., der Betroffene zeigt merkwürdige stereotype Bewegungen oder Haltungen.
Das ist aber wirklich nur eine kleine Auswahl an möglichen Erscheinungsformen. Wichtig ist auch grundsätzlich, dass die Erkrankung meist in Phasen verläuft. Ein Schizophrener kann daher außerhalb der Akutphasen seiner Erkrankung völlig „normal“ und unauffällig sein. Eine akute Episode kann dagegen sehr deutlich zu Tage treten. Dann sind die Patienten aber oft in stationärer Behandlung.
Keine Therapie ohne Nebenwirkung
Und damit zuletzt noch zu einem Punkt, der ebenso nicht vernachlässigt werden darf: Auch die Therapie, so wichtig und unumgänglich sie oftmals ist, hat Nebenwirkungen, die nach außen hin sichtbar werden können. Sog. Antipsychotika oder auch Neuroleptika können unmittelbare, aber auch Langzeitfolgen haben. Hier gibt es wieder eine große Bandbreite und Individualität je nach Patient.
Sichtbar kann vor allem eine deutliche Gewichtszunahme sein. Längerfristig kann es typischerweise zu bestimmten Bewegungsstörungen kommen, vor allem im Gesichtsbereich (z.B. Zucken im Gesicht, Zusammenkneifen der Augen, vermehrte Zungenbewegungen).
Im Übrigen unterscheidet sich die psychiatrische Medikation, was die Nebenwirkungen anbelangt, wiederum nicht von vielen Therapien im somatischen (körperlichen) Bereich. Vielleicht haben Sie schon einmal jemanden mit ganz dünner, empfindlicher und geröteter Haut gesehen. Es könnte sein, daß dieser Mensch eine entzündliche Erkrankung hat und deshalb Kortison einnehmen muß.
Oder die lange Narbe am Unterschenkel: Sie wird den Skifahrer, der sich vor Jahren das Sprunggelenk gebrochen hat, ein Leben lang begleiten und seinen Mitmenschen im Sommer nicht verborgen bleiben. Auch eine Operation ist eine Therapie, die neben viel Gutem auch „Schaden“ anrichtet, der einem Menschen lebenslang anhaftet.
Autorin: Eva Bauer (Ärztin)